Salutogenese und Resilienz
Das systemtheoretisch geprägte Modell der Salutogenese – Gesundheitsentwicklung – des Medizinsoziologen Antonovsky als Gegensatz zur Pathogenese – Krankheitsentwicklung – fokussiert auf Gesundheit nicht als Zustand, sondern als herausfordernden, nie ganz gelingenden Prozess unter aktiver Einbeziehung der Betroffenen. Jenseits des Musters von Risikovermeidung werden Erklärungen für mehr Gesundheit und weniger Krankheit gesucht und eine Umorientierung weg vom Defizit- und Symptomdenken hin zur Ressourcen- und Stärkeperspektive angestrebt. Im Zentrum des Modells stehen – in einer dynamischen Wechselwirkung multipel vernetzt – der Kohärenzsinn, die Widerstandsressourcen und der Umgang mit Stressoren.
In einer Untersuchung über die Anpassungsfähigkeit von Frauen während der Menopause entdeckte Antonovsky, dass erstaunlich viele Überlebende der Konzentrationslager basale psychisch gesunde Strukturen aufwiesen. So ging er der Frage nach, welche besonderen Ressourcen für einen besseren Umgang mit Stressoren verantwortlich sein können. Als Ergebnis präsentierte er den Kohärenzsinn als Kernelement seiner Erklärung von Gesundheit. Kohärenzsinn ist demnach die Fähigkeit, die Welt durch ein andauerndes dynamisches Vertrauen als sinnvoll und zusammenhängend zu erleben. Dies beinhaltet als eine globale Orientierung des Individuums auf der Verstehensebene ein Wahrnehmungs- und Beurteilungsmuster, dass Ereignisse der inneren und äußeren Umwelt strukturiert, vorhersehbar und erklärbar sind, auf der Bewältigungsebene, dass Ressourcen verfügbar, Anforderungen zu meistern sind und auf der Sinnebene, dass die Anforderungen des Lebens und der Biografie Herausforderungen sind, für die sich Engagement und Investition lohnen.
Mit dem Begriff Generalisierte Widerstandsressourcen bezeichnet Antonovsky auf individueller Ebene die körperliche Gesamtkonstitution und körpereigene Abwehrkräfte, Intelligenz und Bildung, Bewältigungsstrategien und die Ich-Stärke (Selbstvertrauen und positives Selbstgefühl, bezogen auf die eigene Person). Im sozialen Nahraum bestimmt die Qualität sozialer Beziehungen, Zugehörigsein, soziale Unterstützung, Vertrauen und Anerkennung und zivilgesellschaftliche Beteiligungsmöglichkeiten die Widerstandsressourcen. Auf gesellschaftlicher Ebene sind es sinnvolle Teilhabe an Tätigkeiten, Verfügung über materielle Absicherung zum Lebensunterhalt und kulturell die tragfähigen ästhetischen, politischen und religiösen Wertorientierungen.
Unter Stressoren versteht Antonovsky innere oder äußere Anforderungen an den Organismus, die durch psycho-physiologische Spannungszustände das Gleichgewicht stören und energieverbrauchende Handlungen fordern. Ob ein Stressor eine (schädliche) Stressreaktion auslöst, hängt vom individuellen Bewertungsmuster, der Überzeugung über die eigene Handlungsfähigkeit und den Erfahrungen mit persönlichen Bewältigungsstrategien ab. Eine hohe Widerstandsfähigkeit und ein positives Selbsterleben begünstigen flexible und stabile Reaktionen auf Alltagsstressoren.
Antonovskys Konzept kritisiert eine phatogenetische Sicht, versteht Gesundheit als Kontinuum und wirbt für eine aktive Lebensgestaltung trotz Einschränkungen. Diese Ausrichtung auf Ganzheitlichkeit, Ressourcenorientierung, Kompetenzerwerb, Selbstwirksamkeitserleben (zum Begriff Selbstwirksamkeit vgl. hier) und die Betonung von (zu gestaltenden) Umfeldaspekten bzw.Teilhabe am gesellschaftlichen Leben können Entwicklungsprozesse und Stabilisierung befördern – hier unterstütze ich Sie gern.
Die Bedeutung der Salutogenese ist auch hinsichtlich der Stärkung von Ressourcen und der Entwicklung von Resilienz hervorzuheben Aus frühen positiven Interaktionserfahrungen und Bewältigungserlebnissen im Lebenslauf entwickelt sich – ähnlich wie im Modell der Salutogenese – eine psychische Widerstandskraft (Resilienz) gegenüber äußeren Belastungen. Der Begriff Resilienz (als Gegenstück zu Vulnerabilität – die Verletzbarkeit, Verwundbarkeit einer Person) leitet sich vom englischen resilience (Belastbarkeit, Elastizität, Spannkraft, Widerstandsfähigkeit) ab und beinhaltet den erfolgreichen Umgang mit belastenden negativen Ereignissen und den daraus resultierenden Stressfolgen. In der Resilienzforschung werden als Erscheinungsformen die positive gesunde Entwicklung trotz hohem Risikostatus, die persönlichen Kompetenzen unter akuten Stressbedingungen und die positive und schnelle Erholung von traumatischen Erlebnissen analysiert. Resilienz bezieht sich damit auf ein transaktional-dynamisches und prozesshaftes Geschehen und auf die aktive Rolle des Individuums im Umgang mit Stress- und Risikosituationen und ungünstigen Alltagsbedingungen, wobei bedeutsam ist, wie diese wahrgenommen und bewertet werden und wie sich damit auseinandergesetzt wird. Resilienz umfasst nach heutigen Erkenntnissen auch ein mehrdimensionales Zusammenwirken aus Charakteristiken des Heranwachsenden (z. B. Selbstregulation, soziale Kompetenz, Problemlösefähigkeit, Selbstwertgefühl, Selbstwirksamkeitserleben) und seiner Lebensumwelt. Die Belastungsregulation der Einzelnen unterscheidet sich aufgrund von konstitutionell gegebenen, bisher erworbenen bzw. erlernten oder weiteren anderen zugänglichen Ressourcen.
Resilienz kann konstruktivistisch als das Ergebnis von Verhandlungen zwischen Menschen und ihrer Umwelt, um sich selbst als gesund trotz Widrigkeiten anzusehen, definiert werden. Durch den Zugang zu einer Vielzahl von Ressourcen können (behinderte) Menschen sich selbst als gut lebend (Resilienz besitzend) beschreiben. Zentrale Elemente sind der Zugang zu Beziehungen, zu materiellen, kulturellen und gesundheitlichen Ressourcen, zu Beschäftigung, zu Beteiligung an der Gemeinschaft und Verantwortung, zu sozialer Gerechtigkeit, die Ausbildung von Identität und Selbstwertgefühl und der Umgang mit Körper und Geist – inklusive deren Begrenzungen. Dass durch eine Ressourcenaktivierung und -stärkung Problembewältigung gelingt, bestätigen beispielsweise die psychotherapeutischen Metaanalysen des Psychologen und Therapeuten Grawe.
Resilienz wird inzwischen als komplex multidimensionales, multikausales und prozessorientiertes Entwicklungsmodell betrachtet, das auf vielfältig interagierenden Faktoren basiert. Deshalb muss bezogen auf Resilienzförderung jeweils problemspezifisch individuell, differenziert und kontextsensibel vorgegangen werden. Diesem Anspruch will ich mich gemeinsam mit Ihnen stellen!